Wir sind eine gemeinnützige Organisation, die durch eigene Projekte zu mehr Chancengerechtigkeit beiträgt.

Woher kommst du? – Aus Hamburg.

Nein, ich meine woher kommst du wirklich? – Aus Hamburg.

Nein, ich meine wo bist du geboren? – In Hamburg?

Und woher kommen deine Eltern? – Auch aus Hamburg.

Und wie heißt du? – Ich heiße Narwan.

Und woher kommt der Name? – Aus Afghanistan.

Aha. Wusste ich’s doch. Also bist du keine Deutsche und kommst aus Afghanistan.

So oder so ähnlich habe ich ein Gespräch mit einem Mädchen in der U-Bahn geführt.

Ich bin nicht in Hamburg geboren, sondern in Afghanistan, ich wollte in dem Moment unbedingt, dass mir das geglaubt wird, dass auch Deutsche so aussehen können wie ich.

Dieses Erlebnis ist schon einige Jahre her und noch immer beschäftigt es mich und ich frage mich, wie es sein kann, dass ein Mädchen im Grundschulalter so sehr auf die Frage meiner Herkunft beharrte und mir nicht glauben wollte, dass ich Deutsche bin? Möglicherweise war dies meine erste Erfahrung mit Alltagsrassismus, die ich bewusst wahrgenommen habe und an die ich mich bis heute erinnere.

Einige fragen sich sicherlich, was an der Neugier so schlimm sei und machen sich darüber Sorgen, „dass man jetzt nichts mehr sagen oder fragen dürfe“.

In diesem Fall habe ich aber deutlich zu erkennen gegeben, dass ich mich selbst als Hamburgerin sehe und nicht weiter ausgefragt werden möchte – das muss akzeptiert werden.

Es ist auch in Ordnung, wenn sich der ein oder andere nicht in meine Position versetzen kann. Vielleicht triggert diese Frage nach der Herkunft nicht jede Person gleichermaßen, bei mir löst sie aber unterschiedliche Gefühle aus. Mir machen solche Fragen immer wieder  bewusst, dass ich nicht als Deutsche wahrgenommen werde. Und somit noch nicht vollständig hier akzeptiert werde und dass mir nicht erlaubt wird Deutschland als meine Heimat anzuerkennen.

Ich finde es sowieso wichtig, dass grundsätzlich Menschen entscheiden dürfen, was diskriminierend ist, die davon betroffen sind.

Ja, ich weiß. Einige sind es satt, es gibt schon etliche Berichte darüber wo Leute davon erzählen: Wo kommst du wirklich her? Ihr habt schon dutzende Videos gesehen, Artikel gelesen, Podcast gehört usw.

Diese Frage hat sich bei uns Menschen of Colour, so sehr eingeprägt. Schon seit Jahrzehnten müssen wir uns dafür rechtfertigen, wo wir „herkommen“ und warum wir so aussehen wie wir aussehen.

Jetzt ist die andere Seite dran. Es ist es an der Zeit zuzuhören und die Antworten auf eure liebste Frage nach der Herkunft zu bekommen.

Menschen of Colour, das ist eine politische Selbstbezeichnung, die stellt sich gegen jegliche Fremdbezeichnung und soll empowern, werden in unserer Gesellschaft schon immer als „anders“ wahrgenommen. Dies bedeutet gleichzeitig, dass wir mit so einer oder ähnlichen Fragen konfrontiert sind: Wo kommst du wirklich her? Das bedeutet aber auch, dass wir zwangsläufig Ausschlusserfahrungen und Gewalt erleben.

Wir müssen ständig beweisen, dass wir dazu gehören oder keine FundamentalistInnen sind, dass wir feministisch sind, dass wir gebildet sind und auch einen akademischen Abschluss haben können. Menschen of Colour sind also ständig damit beschäftigt sich zu integrieren. Aber was heißt das überhaupt? Integriert sein?

Ich träume auf Deutsch, denke auf Deutsch und kann mich in keiner anderen Sprache so gut ausdrücken wie auf Deutsch. Reicht das nicht aus? Oder bin ich erst Deutsche, wenn ich auch optisch ins Bild passe, welches von der Gesellschaft vorgegeben wird?

Für Menschen, die von Alltagsrassismus betroffen sind, ist gesellschaftliche Macht sehr entscheidend. Was „normal“ oder „unnormal“ ist, wird von der Mehrheitsgesellschaft entschieden und in der Regel auch nicht hinterfragt. Im Endeffekt werden dadurch Regeln gesetzt, wer sich wie anzupassen oder zu integrieren hat.  Die Regeln werden von der Mehrheitsgesellschaft für die Mehrheitsgesellschaft entworfen.

Früher habe ich bei Rassismus immer an schwarze Stiefel und Skin-Heads gedacht. Heute weiß ich, dass das Problem viel größer und großflächiger verteilt ist. Ich weiß, dass es in vielen, unterschiedlichen, alltäglichen Situationen im Leben stattfindet. Alltagsrassismus fängt bei der Sprache an.

Natürlich ist es einfach Rassismus zu erkennen, wenn jemand eindeutig fremdenfeindlich oder beleidigend ist, Alltagsrassismus geht aber viel tiefer und fängt schon früh an. Es geht schon los beim den Stammtischsprüchen oder beim Grillen mit der Familie, wo der Onkel anfängt die Aussprache von dem „netten Türken“, wo er sich sein Gemüse kauft, nachzuäffen.

Wir müssen bewusster mit solchen Situationen umgehen und anfangen mehr zu hinterfragen woher das kommt.

Manchmal traue ich mich auch einfach nicht, weil ich schon weiß, dass ich in der Minderheit sein werde und andere Male habe ich einfach nicht den passenden Spruch parat, weil ich mich überrumpelt fühle.

Nichtsdestotrotz ist es mir wichtig diese Themen anzusprechen und sie damit zu normalisieren. Mir ist es wichtig auch Freunde und Familien auf ihr Fehlverhalten aufmerksam zu machen, dieses kann auf unterschiedliche Art und Weise passieren und es muss auch nicht in dem gleichen Moment sein. Wenn ich überhaupt nicht mehr weiter weiß, dann hole ich mir Hilfe, im Netz zum Beispiel, von anti-rassistischen Personen.

Das Konzept des „Deutschseins“ muss auf unterschiedlichen Ebenen neu und weiter gedacht werden und mehr Facetten zulassen.

Wer sich dazugehörig fühlt und mitmacht, der sollte das auch dürfen, oder?

Narwan (2.Vorsitzende bee4change, Projektleiterin beeMentor) 

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